
Der EuGH hat in mehreren Urteilen Zero Rating Angebote u.a. von der Telekom Deutschland (StreamOn) und Vodafone (Vodafone Pass) als Verstoß gegen die EU-Verordnung zur Netzneutralität betrachtet. Nun scheint auch das Gremium der europäischen Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (BEREC) die Zero-Angebote kritisch zu betrachten. Sollten neue Richtlinien oder Gesetzesänderungen kommen würde dies das Aus für die FreeStream-Angebote der österreichischen Netzbetreiber bedeuten.
Was ist FreeStream bzw. Zero Rating?
Zero Rating (A1 Free Stream, Magenta Stream oder Drei MyStream) ist eine Art Flatrate für bestimmte Chat- & Streaming-Dienste (z.B. Whatsapp, Instagram, Netflix, Spotify & Co). Bei der Nutzung dieser Dienste wird kein Datenverbrauch vom monatlichen Datenvolumen der Mobilfunkkunden abgezogen.

So können Kunden selbst mit einem geringen Datenguthaben von z.B. 10 GB pro Monat trotzdem Musik streamen oder Netflix Serien schauen ohne, dass sich ihr Datenguthaben verringern oder aufbrauchen würde.
Österreichische Regulierungsbehörde RTR beobachtete Angebote

Im Netzneutralitätsbericht 2021 differenzierte die österreichische Regulierungsbehörde RTR unter Berufung auf die bisherigen BEREC-Netzneutralitätsleitlinien zwischen erlaubten und nicht erlaubten Zero-Rating, wobei strenge Voraussetzungen gelten und die Einhaltung durch die RTR kontrolliert wurde:
Solche Angebote durften zu keinem Zeitpunkt die Rechte der Endnutzer einschränken und sich auch nicht nachteilig auf den Wettbewerb auswirken. Zur Sicherstellung der durch die Leitlinien vorgegebenen Voraussetzungen erfolgte seitens der Regulierungsbehörden ein laufendes Monitoring der am Markt angebotenen Zero-Rating-Produkte. – RTR gegenüber LTEForum.at
EuGH Entscheidungen
Der oberste Europäische Gerichtshof hat sich in drei Verfahren mit Zero Rating Angeboten von:

auseinandergesetzt und hat in allen drei Urteilen bekräftig, dass Internetprovider in der EU den gesamten Verkehr unabhängig von den genutzten Anwendungen oder Diensten gleich behandeln müssen:
Eine Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nimmt jedoch auf der Grundlage kommerzieller Erwägungen eine Unterscheidung innerhalb des Internetverkehrs vor, indem der Verkehr zu bestimmten Partneranwendungen nicht auf den Basistarif angerechnet wird. Eine solche Geschäftspraxis erfüllt daher nicht die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung 2015/2120 genannte allgemeine Pflicht, den Verkehr ohne Diskriminierung oder Störung gleich zu behandeln. – EuGH Urteil in der Rechtssache C-854/19
EuGH Urteile führen zu Änderungsbedarf
Aus den Urteilstexten des EuGH lässt sich herauslesen, dass die Leitlinien, nach denen bisher der Art. 3 Abs. Unterabs. 1 der Verordnung 2015/2120 interpretiert wurde, wohl geändert werden müssen. Die genannten Leitlinien dienen den europäischen Regulierungsbehörden als Auslegungshilfe für die EU-Netzneutralitätsverordnung und müssen von diesen beim Vollzug weitestgehend berücksichtigt werden.
Diesen Änderungsbedarf bestätigt auch die RTR auf Anfrage des LTEForums:
Im Herbst 2021 hat sich der Europäische Gerichtshof mit Fragen des Zero-Rating auseinandergesetzt und drei bemerkenswerte Entscheidungen erlassen, die eine Aktualisierung der Leitlinien haben notwendig werden lassen. Nach den genannten Entscheidungen sind Zero-Rating-Angebote, bei denen preisliche Ungleichbehandlungen innerhalb des Datenverkehrs eines Internetzugansgdienstes des Endkunden auf Grundlage kommerzieller Überlegungen erfolgen, nicht zulässig. – RTR gegenüber LTEForum.at
BEREC & RTR arbeiten an neuen Leitlinien

Als Folge der höchstgerichtlichen Entscheidungen arbeitet die BEREC auf EU-Ebene nun an einer Aktualisierung der Leitlinien zur Netzneutralität. Auch die österreichische RTR bringt sich gemeinsam mit anderen europäischen Regulierungsbehörden aktiv ein:
Die RTR arbeitet gemeinsam mit den anderen europäischen Regulierungsbehörden mit Hochdruck an der Aktualisierung der Leitlinien. Der neue Entwurf wird derzeit konsultiert. Eine Veröffentlichung dieser neuen Version sollte voraussichtlich im Juni 2022 verfügbar sein und den nationalen Regulierungsbehörden als Auslegungshilfe beim Vollzug dienen. – RTR gegenüber LTEForum.at
Aus einem kürzlich veröffentlichten Entwurf geht hervor, dass Zero-Rating-Angebote, wie sie derzeit von A1, Magenta und Drei angeboten werden, wohl nicht mehr im Einklang mit den neuen Leitlinien stehen werden. Die Sicherstellung der Netzneutralität steht an oberster Stelle.
A1 FreeStream ist für Neukunden bereits Geschichte

Die Telekom Austria, die 2017 als erster Anbieter FreeStream in Österreich angeboten hat, ist nun auch der erste Anbieter, der das Angebot für Neukunden wieder gestrichen hat, wie die Telekom Austria gegenüber LTEForum.at bestätigt hat:
Die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von „Zero-Rating“ hat sich auf europäischer Ebene geändert (…) Daher bieten wir den Dienst auch nicht mehr für Neukunden bzw. für Neuanmeldungen an. Bestehende Kunden können Free Stream derzeit noch nutzen. – A1 Telekom Austria
Bei der neusten Überarbeitung des Tarifangebots im März 2022 hat die Telekom Austria Free Stream bei den Handytarifen gestrichen und stattdessen das enthaltene Datenvolumen der Tarife für Neukunden erhöht.
Bestandskunden mit A1 FreeStream können das Zero-Rating-Angebot laut Vertrag noch bis 1.2.2023 nutzen. Mehr Details zu A1 FreeStream …
Magenta geht von Einstellung aus

Auch beim Netzbetreiber Magenta sieht man die Situation ähnlich und geht von einer künftigen Einstellung des Dienstes aus.
Magenta wird sich an alle regulatorischen Vorgaben zum Thema Zero-Rating halten und steht dazu bereits in engem Austausch mit der Regulierungsbehörde. Konkrete und notwendige Änderungen werden gerade geprüft. In Anbetracht der aktuellen Entwicklung ist davon auszugehen, dass Magenta Stream in Zukunft nicht mehr angeboten werden kann. Derzeit ist es mit einer Befristung bis 31.12.2022 unverändert in unseren Mobile-Tarifen enthalten. – T-Mobile Austria
Derzeit bietet man jedoch Neukunden noch Tarife inkl. optionalen Magenta Stream an, allerdings wurde die Nutzung bereits auf 31.12.2022 befristet. Mehr Details zu Magenta Stream …
„3“ Drei evaluiert die Situation

Drei bestätigte gegenüber dem LTEForum kurz und knapp, dass man gerade dabei ist das Thema zu evaluieren:
Wir evaluieren das Thema. – Hutchison Austria
Auch Drei bewirbt derzeit die eigenen Handytarife noch mit MyStream, jedoch auch nur mit vorläufig befristeter Nutzung bis Jahresende 2022 (bei einigen Angeboten bis 3.2.2023). Mehr Details zu „3“ MyStream …
Neukunden sollten aufpassen
Während A1 bereits reagiert hat und die Tarife statt mit MyStream mit mehr allgemein nutzbaren Datenvolumen ausgestattet hat, werden die Tarife bei Magenta und Drei derzeit noch mit dem Zero-Rating-Angebot beworben. Nur im Kleingedruckten ist von der befristeten Nutzung bis Jahresende zu lesen. Wer sich darauf verlasst, dass die Nutzung von Streaming-Diensten nicht vom Datenvolumen abgezogen wird, könnte bald eine böse Überraschung erleben.
Konsumentenschützer dürften es kritisch sehen, wenn bei einer 24 Monate-Vertragsbindung eine optionale Leistung beworben wird, die vermutlich nur mehr ein paar Monate nutzbar sein wird. Es wäre wünschenswert, wenn auch Magenta und Drei so wie bereits A1 ihre Angebote möglichst rasch anpassen würden und so für Klarheit sorgen.
Keine Sonderkündigung bei Wegfall bei Bestandskunden
Äußerst wahrscheinlich wird die Streaming-Option auch bald bei Bestandskunden aus gesetzlichen Gründen wegfallen müssen. Dies dürfte jedoch kein Sonderkündigungsrecht auslösen, sofern das Zero Rating nicht vorzeitig eingestellt werden muss. Alle drei Netzbetreiber verweisen im Kleingedruckten darauf, dass es sich um eine zusätzlich gewährte Leistung handelt, die nicht Leistungsinhalt des Tarifs ist. Zudem wurde sie meist nur auf max. 1 Jahr befristet gewährt und bei Drei muss die Option durch den Kunden gar erst optional aktiviert werden.
Trotzdem dürfte der Wegfall wohl für Aufregung unter den Kunden sorgen.